Coronagedanken
- alrasumofsky
- 21. März 2020
- 4 Min. Lesezeit
Nachdem ich endlich wieder einmal einen freien Abend zur Verfügung habe, wollte ich heute mal meine Coronagedanken verschriftlichen. Zuerst mal das gesellschaftliche:
Das österreichische Volk schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Sowohl negativ als auch positiv. In der Vergangenheit war es oft die Borniertheit und der unbändige Wille, das Land immer wieder gegen dieselbe politische Wand zu fahren die mich am Homo Austriacus überraschten. (Die politische Wand galt vor allem im Kontext von Jörg Haider).
Kreaturen aus dieser seelischen Grotte konnten wir während der Coronakrise schon beobachten. Ich hörte von Menschen in den Drogeriemärkten dieses Landes, die einander im Streit über Klopapier und Konserven nicht nur verbal attackierten, sondern sich gegenseitig ins Gesicht schlugen. Auf der einen Seite zeigte das Coronavirus also, wie dünn dieser Schutzfilm der Zivilisation über unserer Gesellschaft eigentlich ist. Unfassbare Szenen sah ich in Handyvideos und nicht nur groteske Episoden aus den Märkten dieses Landes luden dazu ein, den Kopf wiederholt gegen die nächste Stuckatur zu donnern. Hier wären zum Beispiel Berichte von Coronaparties zu nennen und die frustrierenden Falschmeldungen, die sich in den sozialen Netzwerken ausgebreitet hatten und auf ein breites, williges Publikum stießen. Ein Publikum, das wohl von demselben dunklen Impuls geleitet war, den auch ich spürte, dieser dunkle Hunger nach Sensation und Katastrophe, nach dem Einstürzen eines unfairen Systems. Eine dunkle Ahnung, nach der sich diese aktuelle Situation beinahe wie eine gerechte Strafe für die Fehler unserer Zeit anfühlt. Ich beobachtete die Entwicklungen mit einer Art Schadenfreude, die ich bereits beim Brexit in mir bemerken konnte. In mir schrie eine kleine grässliche Stimme: „Ja! Das haben die verdient!“
Natürlich bin ich mir bewusst, wie kurzsichtig und böse diese kleine Stimme ist; wie wenig sie unmittelbares Leid berücksichtigt und wie wenig sie aus der Realität der Situation erwächst, denn das wirkliche Leiden berücksichtigt diese Stimme nicht. Ihr geht es nicht darum, Mitgefühl für jemanden zu empfinden der von dieser Situation betroffen ist. Sie berücksichtigt nicht die Angst der Hamsterkäufer, die sie in die Märkte treibt. Ihr geht es auch nicht um die reale Gefahr, die von diesem Virus ausgeht. Es geht ihr um abstrakte Größen. Durch sie sprechen die widerlichsten Impulse der Menschheit aus mir. Ich hoffe, dass sie nur in mir steckt, diese Stimme und dass ich es weiterhin schaffe, nicht auf sie zu hören.
Doch viele dürften ähnliche Stimmen in sich gehört haben und viele waren in der Position danach zu handeln. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass die Börse so schnell in den Sinkflug übergehen könnte und dass sich dieser Sturzflug über eine so lange Zeit würde halten können. Soweit ich mich zurückerinnern kann, war es noch nie so gewesen, dass die Zeitungen so lange über einen so steilen Absturz der Börse berichtet hatten. Es kann natürlich sein, dass ich mich einfach nicht mehr richtig an die Krise des Jahres 2008 erinnere, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich einfach erschüttert bin, zum ersten Mal in meinem Leben bewusst wahrzunehmen, wie die Börse einen direkten Einfluss auf unser Leben nimmt. Man denke nur an die vielen Pendler, die jetzt davon profitieren, dass die Benzinpreise zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder unter einem Euro pro Liter stehen. An diejenigen, deren Aktienfond jetzt plötzlich die Hälfte seines Wertes verloren hat, an die beiden hochrangigen Berater des US Präsidenten, die nach einem strenggeheimen Meeting noch vor dem Crash der Märkte ihre Portfolios abgestoßen hatten, wie wir jetzt wissen (vermutlich auch von dieser kleinen Stimme geleitet). Man denke auch an die Natur, die endlich wieder aufatmen kann, jetzt wo die Wirtschaft nicht mehr im Mittelpunkt aller unserer Bestrebungen steht.
Hier komme ich nun zu den positiven Aspekten dieser Krise. Was ich nämlich auch nicht für möglich gehalten hätte, ist dass die ÖVP einmal die Interessen der Wirtschaft, hinter die der Bevölkerung stellen würde. Es ist schön zu beobachten, dass der Corona-Krisenkanzler Kurz nicht denselben Weg wie Johnson in England geht und die Bevölkerung in einem darwinistischen Alptraum dem Survival of the Fittest aussetzt. Nein! Ich kann es nur ungläubig wiederholen: In Österreich haben wir es tatsächlich geschafft, die Bedürfnisse der Bevölkerung über die der Wirtschaft zu stellen. Wir haben es auch Großteils geschafft, uns an die Auflagen der Regierung zu halten. Vereine sagen ihre Konzerte, Trainings und Proben ab und stellen ebenfalls ihre eigenen Bedürfnisse zum Wohle aller hinten an. Wir haben es in Österreich geschafft, von den Balkonen zu Singen und in Wohnungen zu Tanzen, und es miteinander zu teilen, um uns allen eine Freude zu machen. Obwohl auch hier die grantige Wiener Seele versucht hat, die Stimmung etwas zu dämpfen, war es doch nur ein Aufbäumen des zornigen Alltags, der die neue Situation noch nicht recht wahrheben wollte doch der konnte von der allgemeinen Stimmung unterdrückt werden.
All das erinnert mich an einen Spaziergang vor fünf Jahren um die Zeit des Frühlingsbeginns. Glaubt mir, die Geschichte, die jetzt kommt ist relevant und ich glaube, dass ein Fünkchen Weisheit in ihr steckt, also bleibt kurz geistig bei mir. Ich ging also spazieren und war gerade auf dem Weg in meine damalige Wohnung, als ich mit gesenktem Kopf auf dem Weg durch den Vogelweidpark eine der ersten Blumen des neuen Jahres entdeckte. Es war ein kleiner Märzenbecher, soweit ich mich erinnern kann, der sich nach dem langen Winter aus dem harten Boden hervorgekämpft hatte und jetzt der Welt bessere Zeiten versprach und ich freute mich. Als ich mich so vor mich hin freute, sah ich, wie keinen Meter neben der Pflanze jemand einen fetten Haufen hingekotzt hatte. Eine dicke Lacke Restflüssigkeit von einer Sauftour, oder der Inhalt eines Magens, dessen Besitzer ihn sich nicht mehr behalten hatte wollen, weil er Platz für etwas netteres Schaffen wollte. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass man sich manchmal dafür entscheiden muss, worauf man sich in seinem Leben konzentriert. Man kann durch die Welt gehen und die Märzenbecher am Wegesrand sehen, oder man sieht den Weg vor lauter Erbrochenem nicht… Versuchen wir also, die Klopapier hortenden Irren zu ignorieren. Versuchen wir, diese kleinen bösen Stimmen in uns zu ignorieren und uns auf die Helden der Gesellschaft zu konzentrieren. Auf die SupermarktmitarbeiterInnen, die trotz des hohen Infektionsrisikos täglich die Grundversorgung aufrecht erhalten. Auf die tausenden Freiwilligen, die sich in dieser Situation bereits gemeldet haben um den HeldInnen im Gesundheitssystem unter die Arme zu greifen. Auf die Nachbarn, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten besonders für ältere Personen Hilfe leisten und auf das österreichische Volk, das trotz seiner Macken das Herz meistens am rechten Fleck hat.
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