Der 5-Uhr-Club, meine Rezension
- alrasumofsky
- 12. Juli 2024
- 5 Min. Lesezeit
Schlechtes Buch, gute Methode!
Vor kurzem hat ein Kollege in der Schule mich auf das Buch „The 5 AM Club“ von Robin Sharma aufmerksam gemacht. Er selbst sprach sehr begeistert davon und nachdem er auch Jungvater und Lehrer ist, dachte ich mir: „Wenn das bei ihm solche Wunder wirkt, dann will ich es auch versuchen“. In diesem Blogpost findet ihr meine Meinung zu diesem Buch und zur vorgestellten Methode.
Worum geht’s?
In diesem Buch beschreibt Sharma, einer der weltweiten „Leadership Experten“ – wie er sich selbst auf seiner Homepage bezeichnet – eine Methode, um mehr Erfüllung, Effizienz und verschiedene andere großartige Nebeneffekte in seinem Leben zu erreichen. Wie? Indem man seinen Tag um 5 Uhr früh beginnt und nicht erst später. Schon auf der Titelseite heißt es: „Gestalte deinen Morgen und in deinem Leben wird alles möglich“. Das ist im Prinzip die Kernaussage des Buches. Erweitert wird diese Aussage um einen Vorschlag, wie man seine erste Stunde vor Tagesanbruch verbringen soll, nämlich der 20/20/20 Regel folgend:
20 Min. Bewegen (Sport treiben, so dass man ins Schwitzen kommt)
20 Min. Reflektieren (Tagebuch/ Journal schreiben, meditieren oder beten)
20 Min. Wachsen (z.B. durch das Konsumieren von Podcasts oder Büchern, oder anders Lernend)
Und… das wars dann im Prinzip.
Jetzt hat das Buch aber laut Amazon im Taschenbuchformat an die 336 Seiten (Ich sage gleich dazu, ich hab’s mir als Hörbuch angehört und kann deshalb nicht sagen, wie viele Seiten es wirklich sind) und auch wenn die Kernaussage von vielen Büchern schnell zusammengefasst werden kann, scheint das doch für einen Ratgeber/ ein Self-Help Buch ein bisschen wenig Inhalt im Verhältnis zu sehr viel Fluff. Ich komme später zu einer ausführlicheren Kritik des Buches, jetzt aber zu meiner Erfahrung mit der Methode:
Meine Erfahrungen:
Nachdem ich momentan mit zwei kleinen Kindern sehr wenig Zeit für mich selbst habe, habe ich diese „Methode“ bereits ein paar Mal ausprobiert (manchmal freiwillig mit einem Wecker und manchmal unfreiwillig, durch das Geschrei eines Kleinkindes geweckt) und bin zu dem Schluss gekommen, dass diese Stunde vor Tagesanbruch tatsächlich eine wertvolle Ressource sein kann. Wer sich immer schon gefragt hat, wo seine Zeit geblieben ist, der findet hier eine Antwort und wenn man die Konsequenz aufbringen kann und sich aus dem Bett quält, dann hat man hier eine Ressource, die einem keiner wegnimmt.

Auf meinen morgendlichen Laufrunden durch Wien, die ich zu dieser frühen Stunde gemacht habe, fiel mir vor allem auf, dass selbst in einer Großstadt wie Wien, um diese Zeit nicht viele Leute unterwegs sind. Man bekommt tatsächlich das Gefühl, dass einem die Stadt und der Tag „gehört“ und dieses Gefühl der Selbstbestimmung erweitert sich auf den ganzen Tag. Wenn die Family mitspielt und meine beiden Töchter noch schlafen, kommt es immer wieder sogar vor, dass ich nicht nur eine, sondern sogar zwei Stunden zur Verfügung habe, um mich meinen Projekten und Hobbies zu widmen, oder einfach entspannt in den Tag zu starten. Ein Luxus, den diese bisher von mir nicht bemerkte Zeitressource tatsächlich bringen kann.
Schwierig an dieser Methode ist allerdings dann die oben genannte Konsequenz. Einmal um 5 Uhr aufzustehen, geht ja noch; auch ein zweites Mal geht vielleicht noch gut, allerdings wird die Entscheidung zum frühen Aufstehen nicht dadurch erleichtert, dass ein Großteil meiner Freunde und Bekannten, wenn sie Zeit für ein Feierabendbier haben, dieses nur zur Zeit ihres Feierabends mit mir einnehmen können. Auch abendliche Proben, Konzerte, oder Veranstaltungen werden in ihrem Genussfaktor beschnitten, wenn man mit jeder Minute die man vor Ort auf der Veranstaltung genießt gleichzeitig im Hinterkopf die Schlafenszeit dahinschmelzen sieht. Wenn man um Mitternacht ins Bett kommt, wird das frühe Aufstehen nur noch schwerer und wenn der Schlaf prinzipiell oft durch Kindergequake unterbrochen wird, dann fällt einem das frühe Aufstehen oft doppelt schwer. Es gibt natürlich Leute deren innere Uhr ihnen eine solche Morgenroutine diktiert… ich gehöre definitiv nicht dazu und muss mich da eher überwinden. Die Tage waren dann bisher auch eher anstrengend und ein Nickerchen um die Mittagszeit ist ebenfalls nicht immer drin. Dementsprechend nimmt die Anstrengung und Müdigkeit oft zu, während die Motivation abnimmt.
Wenn wir gerade von abnehmender Motivation sprechen… dasselbe galt auch für den Leseprozess.
Meine Rezension zum Buch:
Jetzt zu dem Punkt, warum ich diesen Blogpost schreiben wollte:
Die Verpackung des Buches ist extrem irreführend, was mich als Self-Publisher etwas irritiert hat. Wenn man das Cover sieht, dann denkt man vielleicht, man bekommt ein typisches Self-Help-Buch. Allerdings ist das nicht so. Man bekommt vielmehr eine fiktive Handlung, die hin und wieder mit sehr spärlich eingeworfenen konkreten Vorschlägen durchsetzt ist. Das Buch ist wahnsinnig frustrierend zu lesen.
Vielleicht ist das Ganze auch sehr subjektiv, allerdings kann ich wenig damit anfangen, wenn in einem Buch so viel pseudowissenschaftliches Füllmaterial steht. Es gibt verschiedene Beispiele; so müsse man zum Beispiel die 4 Bereiche seines Lebens, das „Mindset“ (Psyche), das „Healthset“ (Gesundheit), das „Heartset“ (Emotionen) und das „Soulset“ (Spiritualität) gleichermaßen ausbauen. Das hört sich für mich dann doch ein bisschen nach New-Age Bullshit an.
Es gibt viele weitere Tipps, die mich an Pseudowissenschaft erinnern und damit paradoxerweise auch an meine Uni-Zeit und die Pädagogikvorlesungen, in denen wir von den 3As, den 7 Qs und den 43 Rs der Erziehungswissenschaft hörten. Willkürliche Zusammenstellung von irgendwelchen Abkürzungen, die einer wackeligen wissenschaftlichen Fassade einen präsentablen Anstrich verpassen sollen. Die 3 As wären dann sowas wie:
„Arbeite gewissenhaft“
„Analysiere stets den Lernfortschritt“
„Alphabetisiere alle Analphabeten“
Genauso kommt es mir bei Sharma in einem Großteil seines Buchs vor.
Außerdem muss ich noch das größte Problem des Buches erwähnen: die „Rahmenhandlung“, die eher Widerstände bei mir als Leser aufgebaut hat, als mich in die Geschichte hineinzuziehen. In dieser „Handlung“ begegnen sich eine Unternehmerin, ein Künstler, ein Milliardär und ein Redner… dabei haben 3 dieser Figuren nicht einmal Namen… sie sind nur „die Unternehmerin“, oder „der Künstler“. Die Charaktere sind bestenfalls eindimensional, die Handlung ist vorhersehbar und unglaubwürdig zu gleichen Teilen und es gibt immer wieder Stellen, an denen man nur den Kopf schütteln kann. Immer wieder scheint der Autor dann auch das ungläubige Kopfschütteln der Leserschaft zu antizipieren. Er schreibt dann nämlich solche Sachen wie: „Ja, es gab tatsächlich schon wieder einen doppelten Regenbogen, als die Tauben im Hintergrund aufstiegen“. Ich finde die Verpackung dieses Ratgebers aus diesem Grund so wahnsinnig ineffizient. Allerdings wäre das Buch dann vermutlich maximal 40 Seiten lang. Das wäre allerdings kein Problem, sondern ein Vorteil. Der Rest des Buches ist dann gefüllt mit Zitaten, Sprüchen und einer verschriftlichten Can-Do-Attitude, die den Untertitel des Buches an Banalität noch übertrifft. „Gestalte deinen Morgen und in deinem Leben wird alles möglich“ ist dann tatsächlich hauptsächlich ein seichter Spruch.
Fazit: Bin ich jetzt im 5-Uhr-Club?
Trotz aller Kritikpunkte werde ich Sharmas „Methode“ wieder anwenden, denn die Zeit, die man hier gewinnt, ist tatsächlich sehr kostbar; ob man sie dem 20/20/20 Prinzip folgend nützt oder nicht, sei dahingestellt. Ich werde also tatsächlich versuchen, Mitglied im 5-Uhr-Club zu werden.
Das Buch selbst würde ich nur bedingt weiterempfehlen. Es ist etwas für Leute, die sich eine Dosis Übermotivation holen wollen und nicht zu viel Gedanken an die Handlung verschwenden. Ich will es so sagen: Mir ist es zwischendurch leichter gefallen, die Motivation aufzubringen, um so früh aufzustehen, als das Buch weiterzulesen. 95% von diesem Buch könnte man getrost überfliegen, bzw. die Grafiken ansehen (oder das Begleit-PDF auf Audible) und am Informationsgehalt würde sich nichts ändern.
Dementsprechend mein Fazit:
Methode: Ja!
Buch: Nein!
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