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Die ÖH-Wahlen und Gesichts-Tattoos

  • alrasumofsky
  • 6. Juni 2021
  • 5 Min. Lesezeit

Warum ich niemanden wähle, der sich ein Gesichts-Tattoo stechen lässt, und was das mit der ÖH-Wahl zu tun hat.


Einige von euch haben es sicher mitbekommen: die österreichische Hochschüler*innenschaft hat gewählt und das unterwältigende Wahlergebnis sieht einen Gewinn der VSSTÖ bei einer Wahlbeteiligung von 15.8%. Ich habe nichts gegen die VSSTÖ. Selbst bin ich als Eisenbahner/ Krankenschwesternsohn immer ein Fan der roten Politik gewesen, die mir ein Studium vermutlich überhaupt erst ermöglicht hat.


Warum aber war die Wahlbeteiligung so niedrig? Ich war selbst beinahe nicht wählen und ich will euch nachfolgend meine Beweggründe mitteilen und vielleicht können wir daraus auch auf andere schließen… falls nicht, wisst ihr dann wenigstens, wie ich über die Sache denke und das ist ja auch der Sinn meines Blogs (zumindest habe ich das so verstanden).

Fangen wir mit dem Hauptgrund an, der mich beinahe von der Wahlurne ferngehalten hätte:

Die ÖH und ihre Versprechungen.


Idealismus pur


Die Wahlprogramme der verschiedenen Parteien enthielten unter anderem die Forderung nach dem Schließen des Gender Pay Gaps (VSSTÖ), nach „Klimagerechtigkeit“ verbunden mit dem Aufruf an die Regierung, eine „radikale Energiewende in Österreich voranzutreiben“ (Gras) und danach, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen (KSV-Lili). Alles super Ziele, aber irgendwie dachte ich immer, die ÖH wäre für die Hochschüler*innen zuständig und nicht für die Rettung der Welt.


Am treffendsten formulierten es die Kommunisten, die schrieben, sie „woll[ten] eine ÖH, die antifaschistische, feministische und emanzipatorischer Initiativen über den studentischen Tellerrand hinaus aktiv fördert, sprich gesamtgesellschaftliche Schieflagen in der politischen Gestaltung berücksichtigt.“ Also solle sich die ÖH hauptsächlich in ihrer politischen Gestaltung an den großen Themen der Gesellschaft abarbeiten. Die Klimakrise wird an der Uni bekämpft, genauso wie der Gender Pay Gap; gesamtgesellschaftliche Stürme im Wasserglas der Uni also. Auch wenn vielleicht die Initiativen, die an den Unis gepflegt werden, gerne in die Gesellschaft hinausfließen, wollte ich doch genau aufgrund dieser Art von Größenwahn nicht an der Wahl teilnehmen.


Ich will, dass meine Vertretung sich hauptsächlich um meine Interessen kümmert. Natürlich soll es hier immer so etwas wie einen politischen Leitstern geben, der die Richtung angibt, aber wenn dieser Leitstern ins Zentrum der Betrachtung rückt, dann sehe ich den Sinn hinter demselben nicht. Wenn der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde in Tirol damit wirbt, dass er die Verschmutzung des Great Barrier Reefs beenden wolle, dann werden zuerst einmal alle sagen: „Super… aber wir haben doch nur einen Baggersee in der Gemeinde und der hat nicht einmal ein Riff.“ Durch große Versprechungen und Ziele wird davon abgelenkt, dass sich tatsächlich die Bedingungen der Studierenden in den letzten Jahrzehnten verschlechtert haben; allen Bemühungen der ÖH zum Trotz.


War damals alles besser?


Aus Erzählungen meiner Professor*innen weiß ich zum Beispiel, dass Studieren bedeutend freier gewesen war. Weniger Ausbildung als Bildung, die ihre Zeit braucht und die vor allem in Diskussionen und Kleingruppen stattfindet. Heutzutage sitzt ein Großteil der Student*innen in überfüllten Hörsälen und lauscht den Professor*innen, die ihre Skripten vorlesen, oder sich überhaupt von Assistent*innen vertreten lassen. Diskussionen finden in den meisten Instituten de facto nicht statt, weil es dafür eigentlich keine Zeit gibt. Ein paar wenige schaffen es, aus der Masse der Student*innen herauszustechen und werden dann ebenfalls in die Institution aufgesogen, um dann selbst irgendwann vor überfüllten Hörsälen stehen zu dürfen. Der Rest hält den Kopf unten und schaut zu, dass er die Multiple-Choice Fragen so beantwortet wie auf dem Test, der seit Jahren im Internet kursiert. Dabei geht es meiner Meinung nach immer weniger um übermittelte Inhalte als um das Abprüfen von Lernstrategien und das Ausscheiden von genug Getesteten, damit das Studium weiterhin seine Legitimation behält.


Wo ist die ÖH in all diesen Entwicklungen? Hat sie ein Mitspracherecht, oder ist sie eine Institution wie der Klassensprecher in der Unterstufe? Als Student*in bleibt nur der jährlich zu überweisende Betrag von ca. 20€ als Reminder, dass es die Hochschüler*innenschaft noch gibt… doch wo sehen wir ihre Arbeit? Eine Mindeststudienleistung wird beschlossen und die ÖH ist zwar dagegen, murrt ein bisschen, aber gleichzeitig geschieht nichts. Vielleicht wird noch zu einer Demo gegen den Klimawandel aufgerufen und insgesamt haben alle das Gefühl, dass etwas geschieht, aber gleichzeitig wird genau in dem Bereich, für den sie eigentlich zuständig wäre, gegen ihren Willen etwas verändert.


Als die Studiengebühren wieder eingeführt wurden ging auch ich auf die Straße, in dem Glauben etwas zu bewirken, oder zumindest um meinem Protest Ausdruck zu geben, doch außer dem Murren der ÖH hörte man nachfolgend nichts und die Studiengebühren (mit all Ihren typisch Österreichischen Ausnahmen) wurde einfach eingeführt.


Wieso sollte ich also eine Vertretung wählen, die keine Macht hat und die sich für Dinge interessiert, die sie eigentlich relativ wenig angehen?


Jetzt noch der Bonus: das Gesichts-Tattoo.


Viele der Kandidat*innen bei der ÖH-Wahl vermitteln für mich den Eindruck den ich am meisten bei Berufspolitiker*innen hasse. Sie vermitteln mir das Gefühl, selber nicht richtig im Leben zu stehen, mir aber gleichzeitig sagen zu wollen, welche Entscheidungen ich zu treffen habe. Am besten hat das ein Kandidat an der Musikuni für mich verkörpert, der stolz seine Gesichts-Tattoos auf den Plakaten herzeigte (ich meine… was soll man auch anders damit machen, als sie stolz herzuzeigen? Mit Photoshop entfernen/ das Gesicht verpixeln?).

Ich bin auch kein Gegner von Tattoos an sich.


Ich finde, jeder soll mit seinem Körper machen, was er/sie will und Tattoos können durchaus etwas Ästhetisches haben. Aber es gibt Tattoos, die schränken doch die eigenen Möglichkeiten bei einer Berufswahl etwas ein. Will man zum Beispiel Boxer werden, oder auf einer Ölbohrinsel arbeiten, dann kann ein Gesichts-Tattoo sicher ein guter Einstieg in die Branche darstellen; so wie es ja angeblich gut ist, gleich am ersten Tag im Gefängnis zum größten und gefährlichsten Typ zu gehen und eine Schlägerei anzufangen. Allerdings will ich nicht, dass jemand für mich Entscheidungen trifft, der für sich selbst einmal die Entscheidung getroffen hat, dass ein permanentes Muster im Gesicht eine gute Idee wäre. Ich will nicht, dass jemand sich um meine Probleme kümmert, der sich damals als ihn seine Oma gefragt hat, was er da im Gesicht habe, gesagt hat: „nicht genug!“


Auch wenn das vielleicht von meiner eigenen Form der Bigotterie zeugt, und ja, ich weiß, das Innere zählt und es sagt doch nichts darüber aus, wie der Mensch denn wirklich ist, so gibt es doch gewisse Entscheidungen, die ich einfach nicht treffen würde und wenn jemand eben diese Entscheidungen trifft, disqualifiziert es diese Person für mich ein bisschen aus dem politischen Rennen. Vor allem, weil er sich ja um eine Stelle bewirbt, bei der es hauptsächlich darum geht, für mich Entscheidungen zu treffen.


Meine Mitstudent*innen waren hier anderer Meinung und auch das kann ich verstehen. Auch eure Meinungen würden mich sehr interessieren. Würdet ihr lieber zur ÖH-Wahl gehen, wenn jeder der Kandidat*innen ein Gesichts-Tattoo hätte? Kommentiert doch gerne unter diesem Post.


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