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Warum brauchen wir eine gebildete Gesellschaft?

  • alrasumofsky
  • 21. März 2021
  • 5 Min. Lesezeit

Auf der Suche nach dem Thema für den heutigen Blogpost bin ich auf die obige Frage gestoßen, die mich schon länger selbst beschäftigt. Ihr kennt das sicher, man gibt ein Wort in die Suchmaschine ein und sofort wird aus diesem einen Wort ein Satz, von dem man sich denkt „Mein Gott,… suchen die Leute wirklich nach solchen Dingen?“


So wird aus „kann“ „Kann man von einem Klodeckel schwanger werden?“

Aus „wie“ „Wie verbrennt man Leichen umweltfreundlich?“

Aus „bin“ „Bin ich in Wahrheit ein russischer Schläfer-Agent?“


(für eine Liste, siehe: https://www.sueddeutsche.de/digital/google-suche-kann-man-eine-meerjungfrau-werden-1.1463568)


Mir hat Google mit den Suchvorschlägen förmlich aufgezwungen, heute über folgende Frage zu schreiben: „Warum brauchen wir eine gebildete Gesellschaft?“


Jetzt schicke ich mal vorweg, dass ich irgendwo tief in meinem kleinen Humanisten-Herzelein schon glaube, dass wir so etwas wie eine breite gebildete Gesellschaft brauchen. Bildung ist ein Turbo auf jedem Lebensweg. Wer weiß, wie groß die Welt ist und was sie ihm/ ihr bieten kann, dem/ der steht alles offen. Man kann wirklich alles werden! Atomphysiker*in, Präsident*in, oder sogar Flatearther*in. Wir alle sollten zumindest ein bisschen lesen und schreiben können, damit wir im Internet eine Antwort auf die Frage wichtigen Fragen unserer Zeit bekommen; Z.B. ob Katzen einen Sturz aus einer Höhe von 253 Metern überleben können.



Abgesehen davon muss ich aber zugeben, dass ich in letzter Zeit begonnen habe, an den Möglichkeiten von Bildung zu zweifeln und damit natürlich auch implizit an Bildung selbst. „Wie kann der Typ als Lehrer an Bildung zweifeln?“, werden sich geneigte Leser*innen fragen. Lasst uns mal die großen Bildungsschlappen des letzten Jahrhunderts ignorieren. Lasst uns ignorieren, dass das Volk der „Dichter und Denker“ zum Volk der Schlächter und Henker wurde und schauen wir in die Gegenwart. Das vergangene Jahr hat mich im wahrsten Sinn des Wortes enttäuscht, mir nämlich die Täuschung genommen, was den Stellenwert von Bildung in unserer Gesellschaft angeht.


Als es nämlich hart auf hart kam, war die Frage über die Öffnung der Schulen keine Frage des Bildungsauftrags. Es ging der Gesellschaft nur darum, die Eltern von den eigenen Kindern zu emanzipieren. Jahre der aufgeschobenen Erziehung begannen sich zu rächen und die wilden Pubertiere tobten erstmals so richtig im heimischen Käfig. Alles rief: „Erlöset uns von unseren Kindern!“ und plötzlich schien sogar das Ansehen der Lehrer*innen wieder in der breiten Masse zu steigen. Ich glaubte schon fast, ich müsse mich bald nicht mehr schämen, anderen zu sagen, ich sei Lehrer, doch dann drehte die öffentliche Meinung wieder und bald hieß es, die Pädagog*innen sind die treibenden Kräfte hinter der Pandemie. Abgesehen davon, dass das Lehrer*innenbashing wieder munter weiter ging, war in der ganzen Diskussion nie die Rede von „Bildung“ gewesen. Zwar war kurz die Rede von einer verlorenen Coronageneration, aber irgendwie schwang da auch mit, dass es eigentlich eh komplett egal wäre, ob die jetzt die Standards der Matura der Vorjahre erfüllen oder nicht. Irgendwie wars eh wurscht, ob die Kinder mit den Fünfern in die nächste Klasse aufsteigen, oder wieder etwas über irgendwelche toten Schriftsteller*innen lernen, was die Eltern selber nicht mehr wussten, solange sie nur nicht Zuhause waren.


Bei dieser Diskussion steht trotzdem Bildung an sich nicht in Frage. Die Expert*innen, Virolog*innen und Ingenieur*innen waren nie wichtiger als in der heutigen Zeit. Und das, obwohl es immer einen Teil der Bevölkerung gibt, der nur auf diese Expert*innen schimpft. Die Bildung von einer Elite, die uns als Gesamtgesellschaft weiterbringt, scheint irgendwie in dieser Frage nach der Sinnhaftigkeit von Bildung für die Gesellschaft nicht mitgemeint zu sein. Denn wir alle wollen den neusten Fernseher und er soll noch flacher sein als das Vormodell und man soll ihn zu einem noch günstigeren Preis kaufen können. Die Vorteile des technologischen Fortschritts, der maßgeblich von Expert*innen möglich gemacht wird, stehen noch für den größten Feind der Eliten außer Frage. Aber die Sinnhaftigkeit der Bildung FÜR ALLE, die wird doch immer wieder angezweifelt.


Das Projekt der Bildung für die Allgemeinheit war bereits im 16ten Jahrhundert in einigen europäischen Herzogtümern ins Leben gerufen worden. Schon in der begrifflichen Unterscheidung zwischen Schul- und Unterrichtspflicht finden wir die erste wichtige Frage: Muss Unterricht in einer Schule stattfinden oder nicht?


Das letzte Jahr hat uns ja gezeigt, dass Unterricht nicht immer nur in der Schule stattfinden muss und in einzelnen Fällen war der Heimunterricht sicher auch gewinnbringend; wenn denn die Ressourcen im Haushalt ausreichten für eine Bildung der lieben Kleinen. Wenn allerdings alle 6 Kinder mit den Eltern in einem 50 Quadratmeter Haushalt wohnen, wird es schwer, jedem einen eigenen Arbeitsplatz zuzuteilen, wie es unser großartiger Bildungsminister vorschlug. Da kann dann Armin in den Westflügel gehen und Sabine lernt im Gestüt bei ihren Pferden, während Adelheit in den Südturm aussiedelt (… auch wenn das W-Lan dort nicht so gut ist). Vom Platz einmal abgesehen bleibt es fraglich, ob ohne Hilfe der Lehrer*innen alle Kinder im Homeschooling alle Lerninhalte verstehen; den pythagoreischen Lehrsatz zum Beispiel. Von Tangenten hört man in den meisten Haushalten nämlich nur in den Verkehrsmeldungen.


Unterricht in der Schule ist und bleibt ein großartiges Instrument zur gleichmäßigen Chancenverteilung in der Gesellschaft. Selbst Kinder aus bildungsfernsten Haushalten können in einem fairen und offenen Bildungssystem hoch hinaus kommen. In der Praxis ist es dann freilich oft so, dass die Kinder schon vor der Volksschule nicht nach ihren Fähigkeiten, sondern nach dem Einkommen der Eltern sortiert werden. Vor allem in den Städten ist für manche Kinder die Bildungsleiter ein Aufzug und für andere eine Kletterwand ohne Handgriffe. Wer das Geld hat, kann es sich leisten, seine Kinder in teure Privatschulen zu schicken, während in der öffentlichen Bildung das Recht des Stärkeren gilt und der Grundsatz: „Nur ja nicht in die MNS“.


Die gebildete Gesellschaft, die uns Chancengleichheit bringen sollte, reproduziert so die Ungleichheiten der Elterngenerationen und mit wenigen Ausnahmen werden die Unterschiede zwischen den gut (Aus-)Gebildeten und den schlechtbezahlten Hilfsarbeiter*innen immer größer.


Warum also nicht alle Scheinheiligkeit über Bord werfen? Sagen wir’s doch wie es ist: Der Staat ist nicht an der Bildung der Bevölkerung interessiert. Nicht am Humankapital, sondern daran, dass sich nur ja niemand über die eigenen Kinder beschwert. Die Kleptokrat*innen an der Spitze wollen nur, dass die eigenen Bonzen möglichst gute Chancen haben und in der breiten Bevölkerung sind alle zufrieden, solange die Unterhaltungselektronik immer billiger wird und die Kinder möglichst lange in der Schule sind, damit sie beim Nachmittagsfernsehen nicht stören.


An dieser Stelle sollte jetzt ein Aufruf zum breiten Humanismus stehen und ein Appell an den Glauben an die Menschheit. Hier sollte ein aufklärerischer Paragraph stehen, der die Überzeugung vertritt, dass Bildung doch die Leute aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien könne… doch dann denke ich an die Coronaleugner*innen, an hochgebildete Leute, die im dritten Reich maßgeblich an den Verbrechen ihrer Zeit beteiligt waren. Ich denke an ganze Studiengänge, die nicht auf das Leben vorbereiten, sondern sich immer neue Perspektiven ausdenken, aus denen man irgendeine scheinbare Ausbeutung oder Unterdrückung erkennen könnte und irgendwie bleibt mir der Appell im Hals stecken und wird dort kleiner und kleiner, bis ich nur noch halblaut sage: „Vielleicht sollte jede(r) einfach nur ein bisschen Lesen und Schreiben lernen. Für den Rest gibt’s eh YouTube.“

Wie immer freue ich mich über Kommentare!

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